Es sollte sich auch außerhalb der juristischen Fakultät herumgesprochen haben, dass unter anderem die Bestimmungen über das Werkvertragsrecht im BGB zum 1.1.2002 grundlegend geändert wurden. Ob das nunmehr den gängigen Begriff der Schuldrechtsmodernisierung verdient oder nicht, lassen wir einmal dahingestellt. Konsequenterweise wurde § 13 (1) VOB/B im Dezember 2002 mit § 633 BGB harmonisiert, wobei naheliegenderweise der Begriff des Rechtsmangels nicht in die VOB einfloss. Wir haben es also in der forensischen Gutachterpraxis mit zwei Definitionen des Mangelbegriffs zu tun und müssen als Sachverständige dies bei der Gutachtenerstattung entsprechend berücksichtigen. Hier beginnt die Problematik, denn wir sind keine Juristen und dürfen noch nicht einmal so tun, als ob wir es wären, Rechtsberatungsmissbrauch ist strafrechtlich relevant. Man stelle sich vor, dies würde umgekehrt auch für bautechnische Themen gelten … So manches Kanzleischild würde dann abgeschraubt. Das Bauvertragsrecht wird 2018 im Bereich Gewährleistung grundsätzlich geändert.

Beginnen wir doch mal beim Gesetzestext a. F. (das ist juristische Diktion und bedeutet alte Fassung). In § 633 BGB wurde der Mangelbegriff unter der Überschrift der Nachbesserung und Mängelbeseitigung umschrieben. Danach war der Unternehmer verpflichtet, das Werk so herzustellen, dass es die zugesicherten Eigenschaften hatte und nicht mit Fehlern behaftet war, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufhoben oder minderten. Im wesentlichen entsprach dies § 13 (1) VOB/B 2000, wobei hier zusätzlich der in meinen Augen unpassende Begriff der anerkannten Regel der Technik einfloss. Über diesen Terminus wird in einem späteren Heft zu reden sein.

In § 633 BGB n. F. (neue Fassung) wird erstmals der Mangelbegriff konkret angesprochen, wobei er in Sach- und Rechtsmängel unterteilt wird. Letzteren Begriff lassen wir hier einmal außen vor. In (1) heißt es zunächst, dass der Unternehmer dem Besteller das Werk frei von Sach- (und Rechts-) mängeln zu verschaffen habe. In (2) wird es sodann noch konkreter, danach ist ein Werk dann frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Sollte eine Beschaffenheit nicht vereinbart worden sein, so ist das Werk als von Sachmängeln frei zu qualifizieren, wenn es 1. sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst 2. für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann. Weiterhin liegt ein Sachmangel auch dann vor, wenn der Unternehmer ein anderes als das bestellte Werk herstellt oder dasselbe in zu geringer Menge.

Alles klar? Was bedeutet das für ein Sachverständigengutachten, wenn im Beweisbeschluss schlicht und ergreifend danach gefragt wird, ob Baumängel vorliegen oder nicht? Nun: Zunächst muss gecheckt werden, ob altes oder neues Schuldrecht gilt. Manche Kollegen erstrahlen hier förmlich im Lichte der fachlichen Eitelkeit und äußern sich hierzu gutachterlich, was man als toleranter Mensch noch als enthusiastischen Ausrutscher bezeichnen darf. Schlimm und vor allen Dingen gefährlich wird es dann, wenn auf der vom Sachverständigen gewonnenen Erkenntnis das Gutachten aufgebaut wird und hieraus die Konsequenzen gezogen werden. Dies kann – neben anderem – sogar zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit führen. Das heißt ohne Ausnahme: Es ist Sache des Gerichts, dem Sachverständigen mitzuteilen, welches Schuldrecht anzuwenden ist. Hier verweise ich auf § 404 a ZPO, wonach das Gericht die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten hat und ihm Weisungen erteilen kann.

Ist diese Frage geklärt, stellt sich im alten Schuldrecht die weitere Frage, ob ein VOB- oder ein BGB-Werkvertrag Grundlage der gutachterlichen Beurteilung ist. Auch dies gehört nicht zum Beurteilungsspektrum eines Sachverständigen; ich weiß, dass es diesbezüglich andere Meinungen gibt, ich persönlich halte aber jedwede über das eigene Fachgebiet hinausgehende Beurteilung für mehr oder minder gefährlich. Wie wollen Sie gewissenhaft prüfen, ob beispielsweise die VOB wirksam vereinbart wurde? Also gilt auch hier: Sich beim Gericht kundig machen. Wenn das neue Schuldrecht gilt, stellt sich diese Frage nach meinem Verständnis deswegen nicht, weil die Begriffsdefinitionen des Sachmangels zwischen BGB und VOB als identisch anzusehen sind.

Nicht zu beneiden ist unsere Fakultät, wenn neues Schuldrecht der Begutachtung zugrunde zu legen ist. Der Rechtsmangel geht uns ohnehin nichts an, beim Sachmangel mutet man dem Sachverständigen eine Menge zu. Unterstellt, die Vertragspartner hätten eine bestimmte Beschaffenheit des Werkes vereinbart, so wäre das Werk dann mangelfrei, wenn es diese vereinbarte Beschaffenheit aufweist. Aber wie kann man das prüfen? Nun gut, beispielsweise anhand der Baubeschreibung. Aber ist dies nicht bereits Ausforschung? Ich kenne puristisch orientierte Kollegen, die solche Recherchen als unzulässig ablehnen und grundsätzlich den Begriff Baumängel gar nicht erwähnen, sondern von einem die Umstände des Einzelfalls betreffenden bautechnischen Fehler sprechen. Damit ist man sicherlich „sauber“, bewegt aber in Praxis wenig. Ein Abgleich zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand des Werkes ist schon deswegen schwierig, weil man ja nicht wissen kann, was im Zuge der Vertragserfüllung beispielsweise an Vereinbarungsänderungen vorgenommen wurde oder dergleichen mehr. Und wie beurteilt man denn, was bei Werken der gleichen Art üblich ist und was der Besteller erwarten kann, wenn keine konkrete Beschaffenheit des Werkes vereinbart wurde? Dies ist schlechterdings für uns Bautechniker ohne konkrete Vorgaben für die Beurteilung des Einzelfalls unmöglich. Deshalb zum Schluss mein dringender Rat: Bestehen Sie auf einer Auskunft des Gerichts, welche dezidierten Annahmen Ihrer Begutachtung zugrunde zu legen sind und „eiern“ Sie nicht auf der Grundlage des Verbalismus herum, denn nichts anderes ist § 633 BGB n. F.

© Probst 2005

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